«Lieber Schrammen in der Kindheit als im späteren Leben ein Unfall durch fehlende Erfahrung»
Klettern auf Bäume, springen von Stein zu Stein, hantieren mit Werkzeug und Feuer. Balancieren auf schmalen Mauern, in der Küche beim Schneiden helfen, rückwärts die Rutschbahn hinunter. Gewagtes und wildes Spiel gehört zum Alltag eines Kindes. Auch wenn wir es ihnen vielleicht nicht immer zutrauen: Kinder machen eine Risikoabwägung und lernen, sich selbst einzuschätzen – durch Ausprobieren, Scheitern und Meistern. Risikokompetenz, die Kinder im Umgang und durch Erfahrungen mit Risiken erwerben, ist tatsächlich die beste Unfallprävention, die Kinder erfahren können.
Unsere Gesellschaft ist vorsichtiger geworden: Sicherheit ist ein zunehmender Fokus, wildes und gewagtes Spiel wird immer seltener. Das zeigt sich nicht nur in diversen Studien, sondern schon in den Veränderungen unserer Spielplätze und in der Zeit, die Kinder heutzutage allein verbringen können und dürfen. Dabei wurde durch Risikoforscher David Ball ein Paradox erkannt: Nach der Einführung stoßdämpfender Untergründe auf Spielplätzen in England und Australien ist die Zahl der Knochenbrüche gestiegen! D.h. Kinder passen ihre Risikoabwägung an die Umgebung an und wagen mehr, wenn sie sich sicherer fühlen.
Die häufigsten Ursachen für Unfälle sind ungenügende Motorik und geringe Selbsteinschätzung. Unfälle passieren nicht, weil ein Kind etwas Riskantes macht, sondern weil es zu wenige Erfahrungen sammeln konnte, bei denen es lernt, sich selbst einzuschätzen und Situationen abzuwägen. Zudem passieren Unfälle oft dann, wenn Erwachsene eingreifen. Das Kind auf eine Schaukel setzen, obwohl es selbst noch nicht hochgekommen wäre? Während wir damit nur Gutes wollen, ist es für Kinder wichtig, sich selbstständig im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu bewegen. Alles andere kann zur Überforderung führen.
Das Dilemma: Eltern ist es einerseits wichtig, die Selbstständigkeit ihrer Kinder zu fördern, aber gleichzeitig möchten sie Kinder auch vor Risiken und Verletzungen beschützen. Auch Betreuungspersonen erfüllen zum einen die Aufsichtspflicht, zum anderen ist gewagtes und wildes Spiel ein gezieltes Angebot in der Betreuung, das Teil des pädagogischen Bildungsauftrags bei KiBiZ ist: Risikokompetenz vermitteln und die Möglichkeit geben, daran zu wachsen. Joachim Bensel betont dabei, dass er «Risky Play» mindestens so hoch bewertet wie die Aufsichtspflicht.
Gewagtes und wildes Spiel fördert die ganzheitliche Entwicklung von Kindern zu selbstbewussten und starken Persönlichkeiten. Es ermöglicht effiziente Risikowahrnehmung und treffsichere Risikoentscheidung. Das Kind lernt, Situationen sowie sich selbst ein- und abzuschätzen, mögliche Folgen zu kalkulieren, Ängste zu bewältigen und Verantwortung zu übernehmen. Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit werden gestärkt. Dabei geht es nicht nur um Unfallprävention, sondern um grundlegende Lebenskompetenzen, die erworben werden.
Wir danken den rund 150 Teilnehmenden für das Interesse und freuen uns auf den nächsten KiBiZ Dialog am 12. November 2026 – reservieren Sie sich jetzt schon das Datum.